Weltanschauungen und Arbeit
Mein Freund hatte wieder
Nasenbluten und ich begleitete ihn in die Klinik. Diesmal durften wir
dabei sein, als seine Nase behandelt wurde. Der Arzt, ein junger Mann, der wohl
gerade mit der Praxis angefangen hatte, hatte wohl am Abend vorher in einem
Computerspiel verloren, und damit die Aufgabe gewonnen, neben der schärfsten
Zunge des Rheingaus behandeln zu müssen.
Er rückte also seinen Stuhl
zurecht, während mein Freund mit seinem Pappschälchen in der Hand vor ihm saß,
damit beim Entfernen des Papiers die ganze Blutsuppe nicht auf den Boden
tropfe. Da anscheinend nicht genügend Personal da war, um dem Herrn Doktor
eine Krankenschwester zur Verfügung zu stellen, übernahm ich die Aufgabe,
stellte mich neben meinen Freund und tupfte ihm den Mund ab, als die Suppe sich
löste. Der Arzt holte sein Sauggerät und saugte in der Nase herum, um den Grund
für die Blutung zu finden. Dabei benahm er sich recht ungeschickt, wohl weil
eine Behandlung mit Zeugen doch sehr anstrengend ist. Ich musste daran denken,
was wir Frauen so manchmal in der Familie mitmachen müssen, und ob man vielleicht
den Unterricht der Ärzte vor den ersten Behandlungen etwas
verändern sollte. Ich meine, wer einmal vor der ganzen versammelten Familie,
inklusive strenger zukünftiger Schwiegermutter, ein Huhn mit Fleischgabel und
Messer tranchieren musste, dem kann die schärfste Zunge des Rheingaus nichts
mehr anhaben.
Außerdem finde ich es auch
sinnlos, als Übung Frösche zu operieren oder zu töten, um sich an den
schlimmsten Fall, den Tod des Patienten, zu gewöhnen. Es wäre wohl besser, mit
kranken Tieren anzufangen, um das nötige motorische Geschick für die
Operationen zu lernen, ohne dabei gleich die Erfahrung des aktiven, sinnlosen
Tötens zu machen.
Nach getaner Arbeit wurde
meinem Freund die Möglichkeit gegeben, zu Hause oder im Krankenhaus zu warten,
bis der Nasenverband entfernt werden konnte, und er beschloss, doch lieber mit
mir nach Hause zu fahren.
Am anderen Tag berichtete ich
einer Bekannten aus dem Beamtenkreis, dass die Bedingungen und die
Medikamentenauswahl in der normalen Krankenkasse doch recht schwierig sei, und
bekam die Antwort, dass dies wohl leider so sei, wer arm ist, könne nicht die
besten Medikamente bekommen, dass sei allgemein bekannt.
Ich ging einkaufen, als ich
an einer Baustelle vorbei kam, legte mir diesmal kein Ochs, sondern ein
Ausländer ein Brett über das Bauloch, damit ich vorbei gehen konnte, Ich dachte
darüber nach, wie überheblich doch unsere Beamten sind, dass sie einem
Arbeiter, der sein Leben lang mit Muskelkraft für die Häuser und Straßen
zuständig war, am Ende seines Lebens, wenn der Körper verbraucht ist, nur 2.
Klasse Behandlung bekommt, während die Sesselpupser, die schon schimpfen, wenn
sie über ein kleines Schlagloch fahren müssen, ein Recht auf bevorzugte Behandlung
haben.
Irgendwas stimmt da wohl mit
der Weltanschauung nicht.